Veröffentlichung zum Thema Muße und Kreativität im cf Magazin © Chris Hartmann


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UTOPISCH: MEHR MUSSE IM ARBEITSALLTAG? - ÜBER DEN UMGANG MIT DER RESSOURCE ZEIT

teil 3

DIE SICHT, DASS MÜSSIGGANG NICHT ERSTREBENSWERT IST, ÄNDERT SICH MIT DER INDUSTRIALISIERUNG

Aber was soll das sein, die Muße? Oder Müßiggang? Es kommt mir das Sprichwort "Müßiggang ist aller Laster Anfang" in den Sinn und es klingt nach einer durch und durch negativ besetzten Haltung, der Faulheit. Faulheit zählt in der christlichen Theologie zu den sieben Todsünden. Allerdings meinten die Menschen früher damit Inertia, die Trägheit des Herzens, die den Menschen dazu bringt, egoistisch nur an sich selbst zu denken.

Im Synonymlexikon finden sich drei Bedeutungen für Müßiggang. Erstens wie schon zuvor assoziiert Faulheit, also im Sinne von Untätigkeit und Antriebslosigkeit, zweitens Trägheit, im Sinne von Untätigkeit und Bequemlichkeit und drittens Nichtstun, im Sinne von Beschaulichkeit, Freizeit, Ruhe, Gelassenheit und dolce far niente (ital. süßes Nichtstun). Beim Letzteren kommen wir der ursprünglichen Bedeutung schon etwas näher.

Muße galt als Ideal. Schon in der Antike. Die Aussage "Das Ziel der Arbeit ist die Muße, die Muße ist die Schwester der Freiheit", wird Aristoteles zugeschrieben. "Arbeit und Tugend schließen einander aus." und "Die Glückseligkeit scheint weiterhin in der Muße zu bestehen." soll ebenfalls Aristoteles gesagt haben. Bis ins Mittelalter war der Müßiggang eine erstrebenswerte Beschäftigung und auch ein Privileg, denn er war nur den oberen Schichten vorbehalten.

Die Sicht, dass Müßiggang nicht erstrebenswert ist, entwickelt sich zur Zeit der Industrialisierung. Viele Menschen sehen die Arbeit plötzlich als ihre heilige Pflicht, als ihren Dienst an und vor Gott. Aus "otium", der göttlichen Muße, in der Antike wird das Laster. Die damalige Arbeitsmoral entstand, so die These des deutschen Soziologen Max Weber (1864 bis 1920), der das Buch "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" verfasst hat, durch die innerweltliche Askese vieler Menschen, die im Protestantismus begründet liegt. Die Arbeit wurde zur Tugend erhoben und der Müßiggang verteufelt. Schon Martin Luther schimpfte über den Müßiggang: "Von Arbeit stirbt kein Mensch, aber von ledig und müßig gehen kommen die Leute um Leib und Leben; denn der Mensch ist zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fliegen." Der Kapitalismus wurde also laut Weber nicht nur von Geld und Maschinen angetrieben, sondern auch von dem Protestantismus. Nach der protestantischen Arbeitsethik dient Arbeit also letztlich Gott. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auf dem Dollarschein steht nicht umsonst: In God we trust. Und die Evangelen danken in dem Lied "Danke für diesen guten Morgen" Gott für ihre Arbeitsstelle.

Dass Fleiß zur neuen Tugend erhoben wurde, spiegelt sich auch in den gesammelten Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm wieder - sie wurden um 1812 und damit zur Zeit der (Früh-)Industrialisierung zum ersten Mal veröffentlicht. In dem Märchen Frau Holle wird die fleißige Tochter belohnt und die faule Tochter bestraft. Die Botschaft: Dem Tüchtigen ist das Glück hold - genau die gegenteilige Anschauung zur Antike, die glaubte, dass die Glückseligkeit in der Muße zu suchen ist.

Auch der Sozialismus verklärte die Arbeit, in der DDR herrschte Arbeitspflicht, sonst drohte eine Gefängnisstrafe. Die Ideologie der Vollerwerbstätigkeit funktionierte nicht und war ein Grund dafür, dass die DDR scheiterte. Unsere westliche Variante ist aber mindestens genauso zweifelhaft, sie lautet: Hauptsache wir haben überhaupt Arbeit. Das sagt der Soziologe Georg Vobruba. Die protestantischen Glaubenssätze haben sich auch in unseren Köpfen festgesetzt, ob wir jetzt gläubig sind oder nicht.

Sie münden zumindest darin, dass auch im vereinten Deutschland Untätige wie zum Beispiel "nur Hausfrauen und Mütter" oder Langzeitarbeitslose kein gutes Image haben. Nichtstun erscheint uns mitunter verdächtig. "Es gibt kein Recht auf Faulheit", bestimmte Ex-Kanzler Gerhard Schröder und ordnete die Agenda 2010 an, damit die nicht Vermittelbaren mit den so genannten 1 Euro Jobs beschäftigt werden, auch wenn die Maßnahmen nur in seltenen Fällen die gewünschte Rückführung auf den ersten Arbeitsmarkt erzielen. Faulpelze passen nicht in eine Gesellschaft, in der es zum guten Ton gehört, "busy" zu sein und wenigstens Burnout-Symtome aufzuweisen, die aussagen, dass man für etwas gebrannt hat.

Dabei kann Faulheit den Menschen zu Höchstleistungen antreiben, meint der Spiegel Online-Autor Udo Taubitz in seinem Artikel über Leistungsdruck und Faulheit: "Aus dem Versuch, Arbeit zu vermeiden, sind die besten Ideen entstanden. Johannes Gutenberg war zu faul, Bücher abzuschreiben. Karl Benz war zu faul, zu Fuß zu gehen. Der Taschenrechner wurde erfunden, weil intelligente Menschen zu faul zum Kopfrechnen waren." Diese Aussage trifft es meiner Meinung nach. Das Erstreben von Müßiggang beziehungsweise eine bewusste Arbeitspause, sei es eine große Pause wie zum Beispiel ein Sabbatjahr oder auch nur eine kleine am Mittag, kann Menschen kreativ werden lassen und sie außergewöhnlich gute Ideen und Lösungen finden lassen.

Judith Holofernes, die Sängerin von der Band "Wir sind Helden" hat einem ihrer neuen Songs auf dem Soloalbum "Ein leichtes Schwert" den Titel "Nichtsnutz" gegeben. Das Album ist während einer genommenen Auszeit entstanden. Dazu sagt sie in einem Interview: "Ich finde Müßiggang und unser Verständnis von Arbeit und Arbeitsmoral ein hochspannendes Thema. Bei mir persönlich sieht man ja jetzt, was ich mit meiner Freizeit gemacht habe - ich hatte bald Hummeln im Hintern. Aber ich weiß auch, dass Müßiggang wertvoll ist und Kunst ohne Müßiggang nicht funktioniert, genauso wie Glück." (08.02.2014, Badische Zeitung)

Kunst und Fortschritt benötigen innovative Ideen und diese Kreativität wird unter anderem durch Müßiggang angeregt. Davon ist auch der Psychologe Stephan Grünewald, Mitbegründer des Rheingold Instituts für qualitative Markt- und Medienanalysen in Köln, überzeugt. Er sagt, dass Phasen des ziellosen Herumstreunens, des selbstvergessenen Kramens und Schmökerns, das Dösen oder aus dem Fenster schauen bringe uns in einen für die Kreativität notwendigen gelockerten Modus. Dafür müssten wir uns allerdings von dem üblichen Verwertungs- und Perfektionsdiktat freisprechen, so Grünewald weiter. Für den Müßiggang ist seiner Meinung nach also ein Sprung ins Ungewisse förderlich. Sich treiben lassen. Dazu gehört das Spielen ohne Wettbewerbsgedanke, das sich Vertiefen ins Spiel, die Entwicklung der Fantasie. Das könnte uns so auch das intensive Gefühl der Begeisterung wiederbringen, die wir als Kind verspürt haben.

Auch der Schriftsteller Siegfried Lenz stellt klar: "Der zerstreuungssüchtige Konsument, der Abnehmer von Kurzweil, wird bei allem verbissenen Fleiß nie in der Lage sein, Kultur hervorzubringen, da ihm das sublime Nichtstun unbekannt ist. Kultur entsteht immer nur im produktiven Müßiggang, in großen Augenblicken schöpferischer Faulheit. Das ist eine landläufige Ansicht, und wenn wir sie gleichwohl in Erinnerung bringen, so nur deshalb, weil es müßig ist, auf die Vorzüge des Müßiggangs hinzuweisen", diese Worte stehen in dem Vorwort des Buches "Tagebuch eines Müßiggängers" von Ben Witter, das 1962 erschien.

>TEIL 4 UNSERE KONSUMAKTIVITÄTEN SOLLEN UNS BEI DER SELBSTINSZENIERUNG HELFEN

 

 

 


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