Veröffentlichung zum Thema Muße und Kreativität im cf Magazin, © Chris Hartmann


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UTOPISCH: MEHR MUSSE IM ARBEITSALLTAG? - ÜBER DEN UMGANG MIT DER RESSOURCE ZEIT

teil 4

UNSERE KONSUMAKTIVITÄTEN SOLLEN UNS BEI DER SELBSTINSZENIERUNG HELFEN

Das Entwicklungsschema unserer heutigen Gesellschaft basiert allerdings auf der Annahme, dass Fortschritt und Innovation nur durch Wachstum und Beschleunigung möglich ist. Keine Rede von Entschleunigung und Müßiggang. Diese Überlegungen begegnen uns überall. Wenn wir aber diesen Beschleunigungsgedanken und die Wachstumsidee weiterverfolgen, wir also so weiter wirtschaften und verbrauchen wie bisher, droht uns laut des Soziologen Niko Paech neben dem "Peak Oil" der "Peak Everything", uns gehen also sämtliche Ressourcen aus.

Auch der Soziologe Hartmut Rosa skizziert ein düsteres Szenarium für unsere Zukunft. Er sagt sogar, dass die Beschleunigungsmoderne ganz zum Erliegen kommen wird. Ein Grund dafür sei das fehlende Eingreifen der Politiker - die Nationalstaaten und deren Parlamente könnten die immer schneller werdenden Ströme (Geld, Waren und Informationen) nicht synchronisieren. Rosa rechnet außerdem als Folge der Wachstumsstrategie in Zukunft mit weiteren nuklearen oder klimatischen Katastrophen, sich global ausbreitenden Krankheiten, mit einem Zusammenbruch des Ökosystems und einer kaum zu kontrollierenden Gewalt, nämlich von den Ausgeschlossenen, die sich gegen die Beschleunigungsgesellschaft zur Wehr setzen. Das alles beschreibt er in seinem Buch "Beschleunigung - Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne" (Suhrkamp Verlag, 2005). Es gebe aber keine Schuldigen, so Rosa. Im Kapitalismus greifen seiner Meinung nach Wachstums- und Beschleunigungszwang ineinander. Was wir in der Produktion an Zeit sparen, müssen wir im Konsum wieder ausgegeben.

Vor diesem Hintergrund liest sich der Kommentar von Kathrin Werner im Wirtschaftsteil der Süddeutschen (24.12.2013, Süddeutsche.de) mit ganz anderen Augen. Zu Weihnachten - zu keinem Zeitpunkt sind Konsum und Beschleunigung einerseits und Besinnlichkeit und Entschleunigung andererseits gleichermaßen gefordert - spricht Werner von Entschleunigungs-Aposteln, die sich mit einem "diffusen Gefühl der Unbehaglichkeit, in dem sich Technikskepsis, Fortschrittsfeindlichkeit und Kapitalismuskritik vermengen," herumschlagen. Sie kritisiert die Menschen, die sie Entschleunigungs-Apostel nennt, weil diese sich über den Zwang zur ständigen Erreichbarkeit auch an den freien Tagen und über den Stress beim überdimensionierten Geschenke-Konsum beschweren. Die Autorin vertritt klar den Standpunkt: Ohne Beschleunigung kein Fortschritt. Dafür müssen wir uns ihrer Meinung nach schnell bewegen, effizient arbeiten und viel kaufen. Beschleunigung, Effizienz und Konsum waren auch die Mittel der grauen Männer. Auch sie fürchteten den (wirtschaftlichen) Stillstand.

Unsere Konsumaktivitäten zielen heute oft auf soziales Prestige ab und sollen uns bei der Selbstinszenierung helfen. Der Konsumaufwand wird dabei immer größer und die Angebote haben sich enorm vervielfacht. Um die Produkte zu vergleichen und ihren Wert zu prüfen, benötigen wir Zeit und der Genuss an dem neu erstandenen Produkt dauert nicht lange an, weil es schnell schon wieder ein besseres Produkt auf dem Markt gibt. So kommt es zu ständig expandierendem Konsum bei stagnierendem Glück, stellt der Volkswirt Niko Paech fest.

Paech lehrt als Gastprofessor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg und sagt in seinem Buch "Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie" (Oekom Verlag, 2012): "Derzeit verzetteln wir uns in einer reizüberfluteten Konsumsphäre, die unsere knappste Ressource aufzehrt, nämlich Zeit." Er ist der Meinung, dass wir endlich die Chance hätten, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, indem wir unseren Wohlstandsballast abwerfen. Seine Devise lautet: Weniger Dinge intensiver nutzen. Das soll uns mehr Glück und weniger Stress bringen.

Paechs Konzept der Postwachstumsökonomie orientiert sich an einem Teilrückbau industrieller und global arbeitsteiliger Wertschöpfungsprozesse. Diese Postwachstumsökonomie wird laut Paech in erster Linie durch Suffizienz erreicht. Damit meint er, dass wir uns jenes Ballasts entledigen sollten, der Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen beansprucht, aber nur minimalen Nutzen stiftet. Weiter befürwortet er eine Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung. Dazu gehören Versorgungsstrukturen mit geringer Distanz zwischen Verbrauch und Produktion, also Handwerker aus der Region und regionale Produkte. Aber damit meint er auch, dass wir Dinge selber herstellen, tauschen, ausleihen, reparieren statt sie wegzuschmeißen und gemeinsam nutzen. Um Dinge gemeinsam zu nutzen, müssen wir uns stärker vernetzen - Beispiele in der Praxis sind unter anderem gemeinsame Gartennutzung in der Stadt, Nachbarschaftsvereine, Einrichtungen für die Gemeinschaftsnutzung von Werkzeugen oder Carsharing. Ziel seiner Idee dabei ist: eine Umverteilung der Erwerbsarbeit, damit die Geld- und Wachstumsabhängigkeit abnimmt und die   selbstbestimmte Zeit und Selbstbestimmung zunimmt - ein Faktor für mehr Zufriedenheit.

Der Psychologe Barry Schwartz hat in Studien nicht nur bewiesen, dass ein Zuwachs an Wohlstand, sobald er ein gewisses Niveau überschritten hat, uns eher unglücklich macht, sondern, dass sich unser Stresspegel erhöht, wenn wir eine zu große Wahlfreiheit an Produkten und Angeboten haben. Gesteigerter Konsum bringt uns also mehr Stress. Das Abwägen kostet uns Zeit und Energie. Außerdem müssen wir bei einer Entscheidung zwangsläufig auf alle anderen Alternativen verzichten. Und Verlust schmerzt uns. Glück hängt also nicht nur damit zusammen, wie viel wir verdienen oder wie viel wir haben. Wichtig sind für unsere Zufriedenheit neben einem Grundeinkommen zum Beispiel auch, weniger Entscheidungen treffen zu müssen. Natürlich soll das nicht bedeuten, dass wir unsere Entscheidungsgewalt an andere abtreten.

Es sind nämlich auch die Selbstbestimmung und Möglichkeiten, sich zu entfalten, also die Selbstverwirklichung, die uns glücklich machen. Um uns kreativ zu entfalten, benötigen wir Zeit und Muße. Ist das ein Widerspruch? Ein müßig gehender Mitarbeiter und ein effizient denkender Arbeitgeber? Dem Arbeitgeber kämen zufriedene Mitarbeiter zugute, denn diese verbesserten deutlich die wirtschaftlichen Ergebnisse, so Glücksforscher Professor Karlheinz Ruckriegel. Das bestätigte er in einem Interview (Die Welt, 01.01.2013).

Allerdings ist diese Erkenntnis noch nicht bis zu den Arbeitgebern vorgedrungen, die an einem kontrollierenden und einschränkenden System festhalten. Der Journalist und Intellektuelle Tom Hodgkinson bringt seit 1993 die englische Halbjahresschrift "Idler", den Müßiggänger, heraus. Seiner Meinung nach ist die Arbeitskultur der westlichen Welt anzugreifen, weil sie so viele Menschen versklavt, demoralisiert und deprimiert. "Unsere Gesellschaft leidet an Gier, Konkurrenz, einsamem Streben, Grauheit, Schulden (...)", zählt der Prediger des Müßiggangs und Systemkritiker Tom Hodgkinson in einem Zeitungsinterview (Die Zeit, 29.08.2011) auf.

>TEIL 5 ARBEITGEBER SOLLTEN NUR DAS "WAS", ALSO DAS ARBEITSZIEL VORGEBEN UND NICHT DAS "WIE"

 

 

 


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